Sonntag, 21. Februar - der erste Sonntag der Passionszeit

Brief aus dem Gefängnis Tegel an Eberhard Bethge vom 9. März 1944
aus der Zeit, in der Dietrich Bonhoeffer auf seinen Prozess wartet.

… Zum zweiten Mal erlebe ich die Passionszeit hier. Ich wehre mich innerlich dagegen, wenn ich in Briefen, z.B. meiner Schwiegermutter und Großmutter, Wendungen lese, die von meinem "Leiden" sprechen. Mir kommt das wie eine Profanierung vor. Man darf diese Dinge nicht dramatisieren. Ob ich mehr "leide" als Du oder als die meisten Menschen heute überhaupt, ist mir mehr als fraglich.

Natürlich ist vieles scheußlich, aber wo ist es das nicht? Ich habe mich früher manchmal darüber gewundert, wie lautlos die Katholiken über diese Fälle hinweggehen. Sollte das aber doch die größere Kraft sein? Vielleicht wissen sie aus ihrer Geschichte besser, was wirklich Leiden und Martyrium ist und schweigen zu geringfügigen Belästigungen und Hemmungen.

Ich glaube z.B., dass zum "Leiden" entscheidend auch das körperliche Leiden hinzugehört, wirkliche Schmerzen usw. Wir betonen so gern das seelische Leiden; gerade dieses aber sollte uns Christus abgenommen haben und ich finde im Neuen Testament oder auch in den altchristlichen Märtyrerakten nichts davon.

Es ist doch wohl ein großer Unterschied, ob die "Kirche leidet" oder ob einem ihrer Diener dieses oder jenes widerfährt. Ich glaube, hier muss manches korrigiert werden; ja, offen gestanden, ich schäme mich manchmal fast, wie viel wir von unseren eigenen Leiden gesprochen haben.

Nein, Leiden muss etwas ganz anderes sein, eine ganz andere Dimension haben, als was ich bisher erlebt habe ...