Unsichtbare Gefahren

Von Warnschildern und unsichtbaren Gefahren

Die ersten Straßenschilder mahnen "Achtung! Amphibienwanderung!".

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Wenn es die Amphibien endlich in ihre Laichgewässer geschafft haben, lauert dort die nächste Gefahr. Nein, keine Ringelnatter, kein Storch, ein winziger Feind dringt unbemerkt durch ihre dünne Haut ein, führt zu niedrigeren Testosteronwerten bei Männchen und verminderter Eiproduktion bei den Weibchen. 

Die Ursache sind Fitnessarmbänder, Ferngläser, fetthaltige Lebensmittel und Gourmetöle, Nagellacke oder Verpackungsmaterial, Kunststoffe wie Schuhe oder Kosmetika, Textilien oder Spielzeug. Sie alle können Phthalat-Weichmacher enthalten. Phthalate zählen zu den endokrinen Disruptoren - Chemikalien oder Mischungen von Chemikalien, die die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen stören und dadurch schädliche Effekte (z.B. Störung von Wachstum und Entwicklung, negative Beeinflussung der Fortpflanzung oder erhöhte Anfälligkeit für spezielle Erkrankungen) hervorrufen.

Viele synthetische Chemikalien mit hormoneller Wirkung werden in Flüssen und im Meer nachgewiesen. So sind Fische, Reptilien und Meeressäuger besonders von der Verschmutzung ihrer Lebensräume betroffen. Aber auch bei Vögeln und Landtieren konnten Schädigungen festgestellt werden. Eindrückliche Belege für den Effekt von hormonellen Stoffen auf Wildtierpopulationen liefern vor allem Langzeitbeobachtungen. Die Fortpflanzung der Stare leidet unter östrogenähnlichen Stoffen, die das Immunsystem schädigen und das Gesangsverhalten der Männchen verändern. In Alaska weisen 68 Prozent der männlichen Schwarzwedelhirsche einen Hodenhochstand auf, ihre Spermien sterben ab, weil es im Körperinneren zu warm ist. Bei Eisbären gehören zwittrige Tiere und missgebildete Geschlechtsorgane zu den Folgen der hohen Schadstoffbelastung in Spitzbergen und Ost-Grönland.

Häufig sind Raubtiere am Ende der Nahrungskette besonders hoch belastet, da sich langlebige Stoffe im Fett ihrer Beutetiere anreichern. Ein Beispiel dafür ist PCB: Polychlorierte Biphenyle sind organische Chlorverbindungen, die in vielen Industrieanwendungen eingesetzt wurden. Obwohl sie seit 2001 durch die Stockholmer Konvention weltweit verboten wurden, sind die Stoffe immer noch aufgrund ihrer Langlebigkeit und Bioakkumulierbarkeit in Wildtieren und in der Umwelt zu finden.

Fast bei jedem Menschen sind Phthalate oder ihre Abbauprodukte in Blut und Urin nachweisbar. Wir nehmen die Weichmacher zwar nicht durch die Haut, aber mit der Nahrung und der Luft auf. Nur wenige Weichmacher sind in der EU mittlerweile verboten, aber in importierten Produkten weiterhin erlaubt. Gerade kleine Kinder sind besonders gefährdet, da sie Plastikspielzeug in den Mund nehmen.

"Achtung! Amphibienwanderung!"
Hier ist die Umsetzung einfach: langsam fahren, auch mal anhalten und warten, und nach vier Wochen ist die Wanderung vorbei. Gegen die Bedrohungen durch Weichmacher, die nicht lokal und zeitlich begrenzt sind und deren Ausmaße wir noch gar nicht abschätzen können, brauchen wir einen langem Atem. Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Gefahren und Risiken durch hormonaktive Substanzen wird uns noch lange beschäftigen.

Fortsetzung morgen ...

Dr. Birgitt Salamon,
Biologin und Umweltbeauftragte der Gethsemanegemeinde